Woudhuysen

Die neue Servicewelt

First published in Novo 78, September 2005
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In seinem neuen Buch In the Bubble: Designing in a Complex World ermöglicht John Thackara interessante Einblicke in die Zukunft der Informationstechnologien in der Dienstleistungsbranche – insbesondere im staatlichen Sektor.

Heute erbringen die meisten Unternehmen Dienstleistungen. In seinem Haushaltsbericht kündigte im März dieses Jahres der britische Schatzkanzler Gordon Brown, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, eine neue Strategie für die öffentlichen Dienste an. Als ich mir John Thackaras neues Werk zu Gemüte führte, fand ich seine eingehenden Betrachtungen zur Rolle von IT im Servicesektor daher recht aufschlussreich.

Laut Thackara lassen sich Dienstleistungen gemeinschaftlich nutzen, leasen, für ältere Menschen organisieren oder mit lokaler Beteiligung der Bürger erbringen. Interessanterweise war eine enorme Expansion solcher lokalen Dienste unter Einbeziehung freiwilliger Mithilfe schon zu beobachten, bevor IT in der Servicebranche Einzug hielt. Für den Autor bedeutet das, man solle sich bei der Gestaltung der Dienstleistungen der Zukunft doch wieder mehr auf intelligente Arbeiter als auf unsensible Informationstechnologien stützen. Er bemerkt, ein Bahnangestellter könne eine Bahnreise für vier schneller organisieren als der Verbraucher über ein interaktives Voice-System in einem Call Center oder per SMS an einen Großrechner. Im Vergleich zu dieser Art Selbstbedienungswirtschaft seien Menschen, so Thackara, „einfach immer klüger“. Und was dem Serviceanbieter „viel Geld spart, bürdet dem Verbraucher einfach viel Arbeit auf – und raubt ihm seine Zeit“.

Thackara hat, was die Effizienz von Diensten per SMS betrifft, durchaus recht. Aber seine Kritik anderer Formen der Selbstbedienung ist etwas zu harsch. Gut – sogar die Geldautomaten funktionieren nicht immer, und bei Barclays und British Airways sind die Webseiten häufig außer Betrieb. Die Schlangen haben sich in der Tat bloß aus der realen Welt ins Call Center verlagert. Trotzdem finde ich Bankgeschäfte am heimischen PC viel effizienter als einen Besuch in meiner Filiale – auch wenn Barclay sich neuerdings wieder für den persönlichen Kontakt mit seinen Kunden zu erwärmen scheint. Auch die Spracherkennungssysteme von British Airways sind – selbst wenn ich vom fahrenden Zug aus anrufe – beeindruckend.

Thackara meint, Dienstleistungen sollten unter sparsamerem Einsatz von Produkten und Technologien stärker auf die Bedürfnisse der Verbraucher ausgerichtet werden. Das stellt er sich so vor: Man kombiniere die schon bestehenden IT-Verbindungen zwischen Menschen, Ressourcen und Orten mit Kenntnis lokaler Bedürfnisse und Gepflogenheiten sowie „dynamischer Ressourcenallokation“ – und schon braucht die Gesellschaft weniger Geräte, Fahrzeuge und Gebäude. Und das sei gut für die Umwelt. Schließlich könne IT in „fluid time“ individuelle, relevante und präzise Informationen über öffentliche Dienste und private Termine in Echtzeit liefern und so den Bedarf des Einzelnen an Transport, Lieferungen oder medizinischer Versorgung passgenau mit der Verfügbarkeit der entsprechenden Leistungen koordinieren.

Hier öffnet In the Bubble interessante Einblicke in die allgemeine Stoßrichtung der Politik in Großbritannien. Die Regierung möchte die Nachfrage nach Mobilität und Frachtverkehr senken. Dazu gehört insbesondere die Nachfrage nach dem, was die britischen Grünen in jüngster Zeit als „food miles“ (Lebensmittelkilometer) stigmatisieren. Und Thackaras Vorschläge liegen auch auf Linie mit der Forderung in Gordon Browns Haushaltsbericht, dass die Verbraucher als „Koproduzenten“ öffentlicher Dienste genauso in deren Gestaltung einzubeziehen seien wie die Experten.

Das mag ansprechend klingen, und auch ich habe gelegentlich den Eindruck, dass öffentliche Dienstleistungen durchaus in einer Weise organisiert werden, die gegen die Bedürfnisse der Verbraucher arg resistent zu sein scheint. Doch Thackaras Konzept der Beteiligung der Verbraucher am Design von Serviceleistungen hat autoritäre Implikationen. Informationstechnologien können in der Tat eingesetzt werden, um den Menschen mühsame Reisen zu ersparen. Doch wer genau entscheidet eigentlich, dass ich besser zu Hause bleiben und nur lokale Produkte zu mir nehmen soll? Und obgleich ich möglicherweise einem Onlineclub für Übergewichtige beitreten möchte, glaube ich schon, bessere Unterstützung beim Schlankbleiben wird mir mein Arzt bieten, wenn er online und mit Sachverstand wissenschaftliche Publikationen zum Thema konsultiert.

Außerdem will ich nicht Teil eines Designprozesses sein, in dem ich mich im Rahmen der Modernisierung öffentlicher Dienste den Geboten der „sozialen Inklusion“ beugen und mir Verhaltensratschläge anhören muss. Wenn ich beim Onlinebuchen am PC dick bleiben möchte, ist das mein gutes Recht.

Mir gefällt vieles an In the Bubble nicht, aber wenn Sie wissen möchten, was als Nächstes kommt, würde ich die Lektüre doch stark empfehlen.

Literaturtipp:

John Thackara: In the Bubble: Designing in a Complex World, MIT Press 2005, 321 S., EUR 27,90

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